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Seuchen und Rassismus: Weshalb Covid 19 kein „Gleichmacher“ war

Die US-amerikanische Wisseschafts-historikerin Edna Bonhomme hat ein Buch vorgelegt, das den Umgang mit der Corona-Pandemie in eine globale Seuchengeschichte einordnet. Ihren Fokus legt sie darauf, welche Rolle Rassismus dabei spielt. Ungleichheit in der Medizin ist durch Covid-19 stärker ins Bewusstsein gerückt. Merkwürdig, dass der Virus anfangs manchen noch als großer „Gleichmacher“ galt. Wer nur auf die Schauplätze des Ausbruchs sah, konnte auf diese Idee verfallen: Nicht die […]

Die US-amerikanische Wisseschafts-historikerin Edna Bonhomme hat ein Buch vorgelegt, das den Umgang mit der Corona-Pandemie in eine globale Seuchengeschichte einordnet. Ihren Fokus legt sie darauf, welche Rolle Rassismus dabei spielt.

Lässt auch ihre eigene Erfahrung mit einer Typhuserkrankung in ihr Buch einfließen: die in Berlin lebende Wissenschaftshistorikerin Edna Bonhomme. (Foto: ©Carleen Coulter)

Ungleichheit in der Medizin ist durch Covid-19 stärker ins Bewusstsein gerückt. Merkwürdig, dass der Virus anfangs manchen noch als großer „Gleichmacher“ galt. Wer nur auf die Schauplätze des Ausbruchs sah, konnte auf diese Idee verfallen: Nicht die von Ansteckungskrankheiten sonst gebeutelten afrikanischen Länder, sondern eine chinesische Industriestadt sowie Regionen im wohlhabenden Norden des Globus waren die ersten Hauptkrisengebiete. Spätestens mit der Verfügbarkeit von Impfstoff und der Einführung von Homeoffice als Mittel sozialer Distanzierung zeigte sich dann, dass die Pandemie zwar Arm und Reich, Schwarz und Weiß, Nord und Süd heimsuchte, Privilegierte und Marginalisierte aber eben sehr ungleich herausforderte.

Die US-amerikanische Wissenschaftshistorikerin Edna Bonhomme, die an der Princeton University über die Ausbreitung von Epidemien in Nordafrika im 18. und 19. Jahrhundert promovierte, hat nun ein Buch vorgelegt, das den Umgang mit Covid-19 in den weiteren Zusammenhang einer globalen Seuchengeschichte stellt. Der Großessay „Eingesperrt und Ausgegrenzt. Armut, Ausbeutung, Rassismus – eine andere Geschichte der Medizin“, der subjektive Erfahrungen, aktivistische Ansätze und wissenschaftstheoretische Überlegungen miteinander verbindet, will aufzeigen, welche Strukturen der Ungleichheit dafür verantwortlich sind, dass epidemische Krankheiten zwar alle, aber eben nicht alle Individuen und Gesellschaften gleichermaßen treffen.

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf rassistischer Diskriminierung schwarzer Menschen in kolonialen und nachkolonialen Kontexten als Trigger und Verstärker von Krankheit, Verelendung und Tod. Zu Beginn formuliert Bonhomme eine These, die sie im Folgenden allerdings nur lose verfolgt: Immer wieder würden Gefangenschaft und Ausgrenzung als vermeintlich objektive Strategien zur Seuchenbekämpfung eingesetzt, dienten aber oft nur der Kontrolle ohnehin randständiger Gruppen. Auf plumpes Querdenkertum läuft Bonhommes leicht mäandernde Argumentation dabei aber nicht hinaus.

Immer wieder würden Gefangenschaft und Ausgrenzung als vermeintlich objektive Strategien zur Seuchenbekämpfung eingesetzt, dienten aber oft nur der Kontrolle ohnehin randständiger Gruppen.

Susan Sontags berühmter, gegen die Deutung von Krebs als Ausdruck unterdrückter Emotionen polemisierender Essay „Krankheit als Metapher“ ist eine Referenz unter vielen. Unter Berufung auf Sontag wehrt sich Bonhomme gegen die Zuschreibung schuldhafter Verstrickung des Erkrankten mit seiner Krankheit und deren Ursachen. Anders als Sontag, die, selbst von Krebs betroffen, ihre Diagnose in ihrem Text völlig unerwähnt ließ, schreibt die 1985 als Tochter haitianischer Einwanderer in Miami/Florida geborene, seit 2017 in Berlin lebende Bonhomme ihre eigene Geschichte und die ihrer Familie plakativ in den Essay mit ein.

Manches, etwa der ausführliche Bericht von ihrer Hochzeit unter den geltenden Beschränkungen während der Covid-Pandemie in Berlin, trägt kaum Substanzielles zum Thema bei. Für die Schilderung ihrer Typhuserkrankung, die sie als Vierjährige durchmachte, gilt das nicht. Die Behandlung und Quarantäne in jenem US-amerikanischen Hospital, in dem Bonhommes Mutter später als Reinigungskraft arbeitete, ist eine prägende Kindheitserfahrung der Autorin. Das Ausgeliefertsein des Mädchens sowohl an die Krankheit als auch an deren Behandlung sowie an den unausgesprochen Verdacht, die Infektion habe irgend etwas mit der Herkunft der jungen Patientin zu tun, motiviert ihre heutige Kritik an individueller und gruppenbezogener Bevormundung, Herabsetzung und Ausgrenzung in der Medizin.

Gerahmt von einem Prolog, einem Resümee und einem Nachwort, gliedert sich das Buch in sieben Kapitel. Im ersten geht es um die Cholera im 19. Jahrhundert, die Opfer unter allen Bevölkerungsgruppen fordert und sogar zwei US-Präsidenten in Folge dahinrafft. Bedingt durch beengte Unterbringung, mangelnde Hygiene und kontaminiertes Trinkwasser wütet sie auf den Plantagen der Südstaaten aber besonders heftig. Der drohende Ausfall und Verlust von Arbeitskräften ruft die „Plantagenmedizin“ auf den Plan, die, wie Bonhomme zeigen kann, essenzialistische und biologistische Ideen über schwarze Menschen in die Welt setzt, die sich fortan weiter durch die Medizingeschichte ziehen.

Dass Medizin eine Grundlagenwissenschaft des Kolonialismus war, zeigt sie im zweiten Kapitel über die Erforschung und Bekämpfung der sich in den Kolonien ausbreitenden Schlafkrankheit durch den deutschen Biologen Robert Koch. Im Auftrag des deutschen Kaiserreichs reist Koch 1906 nach Ostafrika, weil sich die Kolonialherren um die Arbeitskraft der Einheimischen sorgen. Erst in jüngerer Zeit sind die Umstände seiner Mission, die auch Menschenversuche einschließt, überhaupt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt.

Wie Bonhomme im dritten Kapitel anhand Virginia Woolfs fulminantem Essay „Über das Kranksein“ zeigt, ist die Erinnerung an die Spanische Grippe, die sich im Frühjahr 1918 von den USA über den gesamten Globus ausbreitet und auch die kreative Klasse in den westlichen Zentren erschüttert, da deutlich präsenter.

Das gilt natürlich erst recht für die rund sechzig Jahre später einsetzende Aids-Krise, die Bonhomme im vierten Kapitel mit dem Fokus auf die besondere vulnerable Gruppe schwarzer Gefängnisinsassinnen in den USA untersucht. Über die brachiale Bekämpfung des Ebola-Virus in Liberia durch Regierung, Gesundheitsbehörden und Militär im sechsten Kapitel nähert sie sich der jüngeren Gegenwart des Umgangs mit der Covid-19-Pandemie, den sie am Beispiel von schwarzen Prostituierten in Berlin im siebten Abschnitt schildert. Insbesondere in der Rekonstruktion der Ebola-Epidemie kann Bonhomme zeigen, dass Isolierung nicht immer dem deklarierten Zweck der Krankheitsbekämpfung dienlich ist.

Die zweifellos brisanteste Auseinandersetzung des gesamten Buches betrifft die Vorgänge in den von Koch errichteten Isolationslagern, wo Tausende Kranke interniert und mit dem arsenhaltigen Mittel Atoxyl behandelt wurden – dies in sehr viel höheren als den zulässigen Dosierungen, woraufhin zahlreiche Patienten erblindeten. Wie Bonhomme die kolonialen Experimente an Menschen in einer hilfloser Lage nun einordnet und sie lose in einen Zusammenhang mit dem Holocaust stellt, ist aber geradezu fahrlässig. „Wenn Menschen das Wort Konzentrationslager hören, denken die meisten sofort an die ‚Vernichtungslager der Nazis‘, aber diese Praxis und Technologie ist älter und weitreichender, als ich je geahnt hätte“, behauptet sie.

Dass ihrem Buch eine saloppe, oft ungenaue Sprache eigen ist, rächt sich an dieser Stelle. Selbst im Versuch, Sachverhalte klarzustellen, werden sie weiter verunklart, weil die wissenschaftlich gebräuchlichen Begriffe fehlen. (Was beispielsweise meint Bonhomme mit „medizinischen Lagern im Osten des Kontinents“?) Ihre Kenntnisse des nationalsozialistischen Lagersystems bezieht sie vorrangig aus dem Buch der US-amerikanischen Journalistin Andrea Pitzer „One Long Night. A Global History of Concentration Camps“. Das Buch, das ausgehend von den spanischen Internierungslagern auf Kuba über den sowjetischen Gulag bis zu den nordkoreanischen Gefängnissen die Geschichte einer Institution des Strafens erzählt, kann zwar die Augen dafür öffnen, dass, wie Zygmunt Baumann schrieb, das 20. Jahrhundert ein „Jahrhundert der Lager“ ist, es ersetzt aber nicht die Befassung mit den Besonderheiten des nationalsozialistischen Lagersystems. Namen von Holocaustforschern wie Raul Hilberg, Yehuda Bauer oder Omer Bartov aber finden sich nicht in Bonhommes Register. Das ebenso relevante wie sympathische Anliegen des über weite Strecken spannend zu lesenden Buches beschädigt dies ungemein.

Edna Bonhomme: Eingesperrt und Ausgegrenzt. Armut, Ausbeutung und Rassismus – eine andere Geschichte der Medizin. Aus dem Englischen von Anna von Rath. Propyläen Verlag, 384 Seiten.
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